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Ursprünge der offenen Hand

 

Wenn jemand an Karate denkt, fällt ihm zuerst die klassische Handkante ein. Wahrscheinlich durch die vielen Darstellungen in Filmen und Beschreibungen in der Literatur.

 

Mit offenen Händen zu kämpfen ist keine Erfindung von bestimmten Stilen/ Systemen oder gar der Neuzeit. Mit offenen Händen zu arbeiten, ist schon so alt, wie die Kampfkünste selbst. Es hat historische, kulturelle und technische Ursprünge, die auf die Entwickung von Kampftechniken und Phylosophien in verschiedenen Teilen der Welt zurückzuführen sind.

 

Offene Hände sind, auf Grund der fehlenden Spannung (hier auch die Übertragung der Entspannung auf die Geisteshaltung) in den Händen, im Gegensatz zur Faust, die ideale Voraussetzung um schnelle Bewegungen auszuführen und bieten Vielseitigkeit und Effektivität in einer Vielzahl von Kampfsituationen.

 

Bildet man eine Faust, so setzt sich die Spannung von der fest geschlossenen Faust in den Arm und von dort auch in den Schulterbereich fort. Angespannte/ verspannte Muskeln können nicht schnell reagieren, auch, wenn sie erst kurz vor dem Kontakt angespannt werden.

 

Die offenen Hände zeigen im Kenpo mit den Handflächen meist etwas in Richtung Gegner, sie begeben sich weiter, als jeder andere Körperteil von uns, in die gegnerischen Zonen.

 

Methoden der offenen Hand in den Kampfkünsten

Shuto - Schwerthand (Handkante) ...im AKenpo: Handsword

Ippon nukite - Ein Finger Hand ...im AKenpo: One Finger Poke

Haito - innere Handkante...im AKenpo: Reverse Handsword

Nihon nukite - Zwei Finger Hand...im AKenpo: Two Finger Poke

Haishu - Handrücken

Shihon nukite - Vier Finger Hand

Teisho (Shotei) - Handballen...im AKenpo: Heelpalm

Washide - Adlerhand

Seiryuto - Ochsenkieferhand

Koko - Tigermaul

Kumade - Bärentatze

 

Vom okinawanische Karate her betrachtet, liegt der Ursprung der offenen Hände in einer Technik, die man auf der Insel "Sagurite Gamae" nennt. Dies bedeutet "suchende Handkampfstellung" und beschreibt ein psychologisches Prinzip.

 

Hände und Arme werden zu einer Art Fühler. Checken der gegnerischen Absicht mit den Fingerspitzen. Finden die Hände Kontakt mit den gegenerischen Extremitäten, so kann daraus Chi Sao/ Kaki (klebende Hände) entstehen.

Alte Meister sagten, dass mit offenen Händen ein Fühlen der Absicht möglich ist, was wahrscheinlich mit der gleichzeitigen geistigen Entspannung des Geistes in Verbindung steht. Mit offener Hand ist es gut möglich, die Waffen des Gegners sehr effizient zu kontrollieren (z.B. Parry Check). Zwischen der offenen Hand und dem Wahrnehmungszentrum im Gehirn entsteht eine direkte Verbindung. Man sagt, sie hätten "magische" Fähigkeiten.

 
Die verschiedenen heute bekannten Formen sind daraus entstanden und haben sich entsprechend der Stilinhalte zu unterschiedlichen Konzepten entwickelt.  Das Shotokan Karate z.B. betont den formellen Körperaspekt und verzichtet auf tiefgehende klassische Kampfkonzepte. In den klassischen okinawanischen Kata gibt es diesen Shuto Uke nicht - er wird oft als Sagurite oder Kake Shuto interpretiert.

1. Historische Ursprünge

 

a) China und Shaolin-Kampfkünste

• Die offenen Hände sind tief in den chinesischen Kampfkünsten verwurzelt, insbesondere im Shaolin-Kung Fu und verwandten Stilen.

• Im traditionellen Wushu und anderen Formen des Kung Fu symbolisieren offene Hände häufig Respekt, Kontrolle und defensive Absichten, während geschlossene Fäuste mit Aggression assoziiert werden.

• Offene Handtechniken wurden entwickelt, um empfindliche Stellen des Gegners (z. B. Augen, Kehle, Gelenke) anzugreifen oder präzise Griffe und Hebel anzuwenden.

 

b) Indien und Kalaripayattu

• Kalaripayattu, eine der ältesten bekannten Kampfkünste aus Indien, verwendet ebenfalls offene Hände, sowohl für Angriffe als auch für Griffe. Diese Techniken wurden später von buddhistischen Mönchen nach China gebracht und beeinflussten die Entstehung vieler asiatischer Kampfstile.

 

c) Okinawa und Karate

• Im traditionellen Okinawa-Te, einem Vorläufer des modernen Karate, waren offene Handtechniken weit verbreitet. Sie wurden in einer Zeit entwickelt, als Waffen oft verboten waren, und ermöglichten eine vielseitige Selbstverteidigung.

• Viele Kata (Formen) im Karate enthalten offene Handbewegungen, die auf Griffe, Schläge, Abwehrtechniken oder Hebel hinweisen.

 

2. Philosophische Bedeutung

• Im American Kenpo symbolisiert die offene Hand Kontrolle, Demut und die Fähigkeit, Gewalt zu vermeiden, wenn es möglich ist.

• Der Einsatz offener Hände steht im Einklang mit dem Konzept der Selbstverteidigung, bei dem der Kämpfer versucht, die Situation zu entschärfen, anstatt sofort tödliche Gewalt anzuwenden.

 

3. Technische Vorteile der offenen Hände

Die offenen Hände bieten im Kampf eine Reihe von Vorteilen, die sie von den geschlossenen Fäusten unterscheiden:

 

a) Vielfalt der Angriffe

• Schläge:

• Offene Hände ermöglichen kraftvolle Schläge, wie z. B. den Handkantenschlag (Shuto Uchi) oder den Handballenschlag (Teisho).

• Angriffe auf empfindliche Punkte wie Augen, Kehle oder Ohren können mit Fingerspitzen oder der flachen Hand präzise durchgeführt werden.

• Palm Stikes: Schläge mit der Handfläche (z. B. auf die Nase oder das Kinn) sind effektiv und reduzieren die Gefahr, die eigenen Finger zu verletzen.

 

b) Griffe und Hebeltechniken

• Offene Hände sind ideal für das Greifen von Gelenken oder Kleidung, um Hebeltechniken (z. B. im Jiu-Jitsu oder Aikido) anzuwenden.

• Sie erleichtern Kontrolltechniken, bei denen der Gegner immobilisiert oder aus dem Gleichgewicht gebracht wird.

 

c) Blocken und Umleiten

• Offene Hände bieten größere Flexibilität beim Blocken oder Umleiten von Angriffen.

• Sie ermöglichen feinere Bewegungen und bessere Kontrolle in Nahkampfsituationen.

 

d) Schnellere Bewegungen

• Offene Hände sind häufig schneller und flüssiger in der Bewegung, da sie weniger Muskelspannung erfordern als geschlossene Fäuste.

 

4. Einsatz in verschiedenen Kampfkünsten

• Karate: Offene Handtechniken wie Shuto Uchi(Handkantenschlag) und Haito (Innenseitiger Handkantenschlag) sind wesentliche Bestandteile vieler Katas.

• Kung Fu: Traditionelle Stile wie Wing Chun nutzen offene Hände für schnelle Schläge, Blocks und Griffe.

• American Kenpo: Effiziente Selbstverteidigungssysteme bevorzugen Schläge mit der Handfläche (z. B. Palm Strikes) wegen ihrer Effektivität und Sicherheit.

• Aikido und Jiu-Jitsu: Offene Hände werden verwendet, um Hebel- und Wurftechniken zu initiieren und zu kontrollieren.

 

5. Praktische Gründe für offene Hände

 

a) Vermeidung von Verletzungen

• Schläge mit der Faust bergen ein hohes Verletzungsrisiko, insbesondere für die Knöchel und das Handgelenk. Offene Hände reduzieren diese Gefahr erheblich.

• Ein Palm Strike auf das Kinn oder die Nase minimiert die Gefahr, die eigenen Knochen zu brechen.

 

b) Energieeffizienz

• Offene Hände erlauben feinere Bewegungen und benötigen weniger Muskelspannung, was im längeren Kampf Energie spart.

 

c) Flexibilität in der Verteidigung

• Offene Hände können leichter zwischen Angriff, Verteidigung und Kontrolle wechseln.