Ein guter Kampfkünstler ist nicht immer unbedingt ein guter Lehrer.
Nicht, weil er vielleicht unfähig ist, sondern weil er es eventuell nie gelernt hat zu lehren. Mein Lehrer hat immer die Art und Weise und die Ergebnisse meines Unterrichts in seine Bewertung meiner Gesamtleistungen einfließen lassen. Wenn er mich unterrichtete, waren das Weitergeben dieser Informationen auch immer Thema.
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Sinn des Trainings und Aufgabe des Lehrers ist es u.a., dem Schüler in bestimmter Art und Weise Bewegungsformen zu vermitteln und diese bis zur sicheren Beherrschung auszubauen.
Diese Entwicklung kann man in Stufen unterteilen, wobei die Übergänge zu den nächsten Stufen fließend sind. Ich stelle folgend Beschreibungen/ Ideen/ Gedanken zu diesen Stufen vor.
Diese sollen Unterrichtende auch daran erinnern, dass "Training machen" mehr ist, als sich unsortiert Youtubeanregungen zu holen.
Das Üben
Die wohl wichtigste methodische Form der Ausbildung ist das Üben unter direkter (vor Ort) Anleitung des Lehrers/ Ausbilders/ Trainers.
Warum werden verschiedenste Themen immer wieder geübt?
Durch systematische Übungen werden Fertigkeiten und Gewohnheiten des Schülers herausgebildet, die eine effektive Verteidigung in Angriffssituationen erst möglich machen.
Übungen erreichen:
> Vervollkommnung
> Mechanisierung
> Fertigkeit
> Gewohnheit
> folgerichtige unterbewusste Reaktion
Es gibt direkte und indirekte Übungen.
Man kann z.B. die visuelle Sicherung der Umgebung, während einer Auseinandersetzung mit einem Angreifer, durch spezielle Einzelübungen in Grundlagen trainieren (auf was ist zu achten, wie sollte ich mich selber positionieren, wer kann noch potentiell gefährlich werden usw.), das wäre das direktes Üben.
Indirektes Üben wäre, diesen Punkt während des Partnertrainings ständig zu beachten. Im indirekten Üben liegen noch manche Reserven verborgen, es sollte vom Trainer besser beachtet und den Schülern noch besser bewusst gemacht werden.
Die Vorbereitungsphasen
sind wichtige Voraussetzung zur Motivierung der Schüler!
Bewusstmachung
Nichts ist ein schlechterer Motor, als der Gedanke, dass eine Übung keinen Sinn und Zweck habe! Deshalb sollte man den Schülern gegenüber den Sinn, das Ziel und die Notwendigkeit bestimmter Übungen nicht verschweigen. Bei vielen Übungen ist der Zweck ziemlich offensichtlich, aber selbst bei "normalen" Liegestützen blickt man oft in mürrische Gesichter.....wenn man es falsch anpackt. Man kann bei richtiger pädagogischer Führung aber auch das Gegenteil erreichen ;-)
Das betrifft nicht nur den Bereich der Kampfkunst. Auch Personenschützer können z.B. ein Problem mit stundenlangen Übungen zum schnellen Ziehen einer Waffe bekommen, wenn man ihnen den lebenserhaltenden Sinn der Übung nicht erklärt. Haben sie erst einmal verstanden, um was es geht, machen ihnen auch wunde Finger und Daumen nichts mehr aus!
Bereitstellung der notwendigen Kenntnisse
Bevor man nun mit der eigentlichen Übung beginnen kann, muss auch das "was" und "wie" klar sein. Das bedeutet, man muss über Grundlagenkenntnisse verfügen, die die Übung erst einmal möglich machen.
Will man also den Reverse Punch in der Bewegung üben, sollte man schon die Grundlagen der benötigten Kampfstellungen verstanden haben. Es wäre also nicht schlecht, vorher dieses Grundwissen zu überprüfen. Gibt es hier Probleme, sollte man sein Stundenplan operativ verändern.
Um noch einmal die Personenschützer zu erwähnen. Ohne Kenntnisse über die zu benutzende Waffe, braucht man sich gar nicht erst mit dem schnellen Ziehen derselben zu beschäftigen.
Das 3-Phasen-Konzept
für das Lernen einer Technik im American Kenpo nach SGM Ed Parker
Phase 1: Die "Ideal Phase"
In dieser Phase lernt der Schüler die Technik "nach dem Buch" oder wie GM Larry Tatum immer sagt "the written version". Hier ist der Angriff vorgegeben, die Verteidigung klar und die Reaktion des Angreifers bekannt.
Wir
definieren...
Phase I ist ein analytischer Prozess, der es erfordert, dass man mit einer idealen oder festgelegten Situation beginnt. Dies bedeutet, dass man eine Kampfsituation wählt und diese mit einer Reihe vorgeschriebener Bewegungen strukturiert, so dass man diese ideale Technik als Basis nimmt, von der aus man arbeiten kann.
In dieser Phase impliziert der Terminus "Ideal", dass die Situation festgelegt ist und die "was wäre wenn"- Frage, die in Phase II erforderlich ist, ist in dieser Phase nicht enthalten. Die vorgeschriebene Reaktion des Gegners komplettiert die ideale Technik.
Die Idealphase erarbeitet die Bewegungsvorstellung
"Du sollst es kennen und nicht können."
Dem Schüler wird optisch und verbal der neue Bewegungsablauf erklärt. Mehrfaches und präzises Demonstrieren mit gleichzeitigen Erläuterungen durch den Ausbilder.
Meist machen Ausbilder den Fehler, von dem Anfänger beim Erarbeiten der Bewegungsvorstellung, zu viel zu verlangen. Sie "überschütten" ihn mit zuviel Informationen, meist schon zu Feinheiten der Bewegung, die zu Beginn noch nicht wichtig sind. Der Ausbilder muss bei jeder neu zu lernenden Bewegung differenzieren, was zuerst zu erlernen wichtig ist und was später kommen kann (eine sog. "Lehrreihenfolge").
Phase II: "What-If Phase"
In dieser Phase experimentiert der Schüler mit den verschiedenen Möglichkeiten des Angriffs und der Reaktion des Angreifers.
Wir
definieren:
Phase II fügt die Frage: "Was wäre wenn..." hinzu. Die Betonung der Frage in diesem Fall ändert sich leicht von "was ist" zu "was wäre". Was wäre, wenn man zusätzlichen Variablen antwortet und wie würde der Gegner reagieren? In dieser Stufe von Phase II soll man befähigt werden, zur Analyse der möglichen Variationen der "Model-Technik". Erwartete und unerwartete Reaktionen des Gegners sind hier eingeplant und mitgerechnet. Das Prinzip hier ist, dass jede Bewegung eine Reaktion hervorruft.
Die "What-if Phase erarbeitet die Grobform
"Du sollst es noch nicht perfekt, aber allein können."
Während des Erlernens der Grobform, werden grobe, bewegungshemmende Fehler abgestellt.
In dieser Phase wird durch ständige Wiederholung1 an den Feinfehlern gearbeitet, es ist die Phase des "Einprägens". Während des Einprägens1 wird die Bewegung gefestigt, u.a. indem sie mit bereits vorhandenen Kenntnissen (anderer Bewegungen) verknüpft wird.
Da die Grobform schon gut gespeichert ist, kann man seine Konzentration für die nächste Aufgabe in Bezug auf die Bewegung freisetzen. Ziel ist, das die Technik zu einem gefühlsbetonten Erleben wird.
Phase III: "Formulation Phase"
In dieser Phase nimmt der Schüler die Technik auseinander, erkundet ihre Prinzipien und entwickelt Alternativen und Spontanität.
Wir
definieren:
Phase III beinhaltet die tatsächliche Anwendung der neu gefundenen Alternativen zu den originalen idealen oder festgelegten Techniken. Das Wissen über das, was außerdem innerhalb des Rahmens der festgelegten Methode geschehen kann, lehrt wie man variable Antworten in einer freien und wechselnden Umgebung anwenden kann. Dies ist die Phase in der man lernt variable Antworten zu formulieren.
Die Formulation Phase festigt die Feinform
"Du sollst es können."
Durch ausdauerndes Folgetraining wird die Technik zur Feinform entwickelt. Hier wird das Bewegungsmuster ausgeprägt. Das Erlernte soll vom Bewußtsein in das Unterbewußtsein geprägt werden. Bewegungen, die aus dem Unterbewusstsein (automatisiert) heraus kommen, funktionieren ohne direkte bewusste Einschaltung des Gehirns und dadurch wesentlich schneller, da sämtliche Störeinflüsse (Finten usw.) nicht wirken.
Noch mal als Nachsatz:
Die 10 Lernprinzipien (nach Carl Rogers)
- Der Mensch verfügt über ein natürliches Lernpotential.
- Effektives Lernen findet dann statt, wenn das Thema durch den Schüler als wichtig für seine eigenen Ziele wahrgenommen wird.
- Der Lernprozess , der eine Veränderung der Selbstorganisation der Wahrnehmung von sich selbst einbezieht, ist bedrohlich und diesem wird normalerweise widerstanden.
- Solche Lernprozesse, die bedrohlich für einen selbst sind, werden einfacher wahrgenommen und aufgenommen, wenn äußere Bedrohungen auf einem Minimum gehalten werden.
- Wenn die Bedrohung gering ist, können Erfahrungen differenziert wahrgenommen werden und der Lernprozess voran gehen.
- Richtiges Lernen wird durch Tun erworben.
- Lernen wird ermöglicht, wenn der Schüler verantwortlich am Lernprozess teilnimmt.
- Selbstbestimmtes Lernen, das die ganze Person des Lernenden einbezieht, sowohl Gefühle als auch den Intellekt ist am langlebigsten und überzeugendsten.
- Unabhängigkeit, Kreativität und das Verlassen auf sich selbst werden ermöglicht, wenn Selbstkritik und Selbsteinschätzung die Grundlage bilden und die Beurteilung durch andere zweitrangig ist.
- Das sozial nützlichste Lernen in der modernen Welt ist das Lernen des Lernprozesses, eine kontinuierliche Offenheit Erfahrungen zu sammeln und die Verinnerlichung der Veränderungen.
zu 1
Willkürliches und unwillkürliches Einprägen sind immer das Ergebnis von Handlungen, in denen sich das Subjekt mit dem Objekt auseinandersetzt. Beim Lernen (Einprägen) hat neben dem verbalen Erläutern und Demonstrieren, das Selbstausführen eine hervorragende Stellung. Der Schüler merkt sich Bewegungen besser, die er selber oft ausgeführt (geübt) hat. Hierbei spielt auch die Häufigkeit der Ausführung eine wesentlich Rolle. Gleiche Übungsbedingungen führen allerdings bei den einzelnen Schülern nicht zu dem gleichen Ergebnis. Dies erklärt sich durch die individuellen Erfahrungen und verschiedenen Besonderheiten bei den Schülern. Erst durch äußere Bedingungen, werden innere Bedingungen wirksam. D.h. jeder Ausbilder muss jeden Schüler nach seinen Persönlichkeitsaspekten behandeln und fördern , d.h. eng in Verbindung mit seinen Motiven, seinen Zielen und den Mitteln, die er einsetzt um diese Ziele zu erreichen.
Lernen eines bestimmten Materials ist von Zielen, Motiven und Verfahren abhängig.
Nachdruck, Vervielfältigung und Verwendung nach vorheriger Nachfrage, schriftlicher Bestätigung und sichtbarer Nennung der Quelle: www.kenpo-berlin.de möglich.